Statistisch gesehen wird etwa die Hälfte der Menschen, die einmal im Gefängnis waren, später noch einmal straffällig. Schon vor der Entlassung möglichst gute Bedingungen für die Zeit danach zu schaffen, kann helfen, einen Rückfall zu verhindern. Gute Kontakte, ein Netzwerk, eine Wohnung, ein Job – je mehr Halt und Anbindung desto besser. 2021 hat das Justizministerium in Nordrhein-Westfalen „Fachstellen für das strukturierte Übergangsmanagement“ in allen Justizvollzugsanstalten (JVAs) geschaffen.
„Es ist die Aufgabe der Justiz, die Menschen aus der Freiheit in Haft, aber eben auch zurück zu begleiten. Sonst ist am Ende nichts gewonnen“, sagt Heike Moerland, die die Landeskoordinierungsstelle für das Ehrenamt in der Straffälligenhilfe leitet.
Um dieses Übergangsmanagement ging es beim Begegnungstag für Ehrenamtliche und Hauptamtliche in der Straffälligenhilfe am 4. Mai 2024. 29 Ehren- und 11 Hauptamtliche haben sich zum Austausch in der Justizakademie Recklinghausen getroffen. Denn obwohl das Übergangsmanagement eine Aufgabe der hauptamtlichen Sozialarbeiter*innen in den JVAs ist, spielt die Unterstützung der Ehrenamtlichen dabei eine wichtige Rolle
„Die Ehrenamtlichen nehmen viel Druck raus“, sagt Nadine Trepmann, Fachleitung strukturiertes Übergangsmanagement der JVA Geldern. Für die Inhaftierten sind sie oft die einzigen Ansprechpersonen außerhalb des Vollzugs. „Keine Bediensteten, keine Mithäftlinge, sondern ‚normale Leute‘ von außerhalb, die sich für sie interessieren, ohne auf eine Gegenleistung zu hoffen“, sagt Trepmann.
Die Gründe, warum sich Menschen für ein Ehrenamt im Gefängnis entscheiden, sind ganz unterschiedlich. Walburg Günner etwa wollte nach der Rente weiterhin etwas bewirken. Da sie als Sozialarbeiterin auch zuvor schon mit Inhaftierten gearbeitet hat, lag es nahe, hier weiterzumachen. Seit knapp 20 Jahren ist sie nun schon dabei, hat Gruppenangeboteentwickelt, aber auch viele Gespräche geführt. „Durch meine berufliche Erfahrung kann ich auch auf einer anderen, einer Beziehungsebene mit ihnen sprechen“, sagt Walburg Günner.
Die Gespräche helfen dabei, die Gefangenen zu stabilisieren, sagt auch Kamil Rambach, der hauptamtlich in der JVA Essen arbeitet. Durch Gruppen- und Freizeitangebote – etwa zu Musik, Malen oder Literatur – aber auch bei Selbsthilfegruppen für Menschen mit Suchterkrankungen. Oder eben durch Gespräche. „Gerade erfahrene Ehrenamtliche werden gerne angesprochen, um besonders belastete Inhaftierte zu unterstützen und für sie da zu sein“, sagt Nadine Trepmann. Und auch beim Übergangsmanagement können die Ehrenamtlichen helfen - indem sie etwa Kontakt zur Familie des Inhaftierten aufnehmen oder bei Terminen unterstützen. Immer in enger Zusammenarbeit mit den Hauptamtlichen.
Über die Zeit, in der Walburg Günner als Ehrenamtliche tätig ist, habe sich viel verändert. Sicherheitsvorkehrungen seien strenger geworden. Sie musste sich bemühen, das nicht als Misstrauen zu empfinden. Der Umgang mit Frust beschäftigt auch einige der anderen Ehrenamtlichen beim Begegnungstag. Manchmal sei der Umgang mit den Beamten an der Gefängnispforte irritierend – etwa, wenn beim einen Mal die Uhr mit hineingenommen werden dürfe und beim nächsten Mal nicht, empfinden die Ehrenamtlichen das als willkürlich.
Der Austausch beim Begegnungstag ist daher wichtig, um einen besseren Einblick in die Arbeit der anderen Seite zu erhalten. „Im Vordergrund steht, die Sichtweise und Handlungslogiken der jeweils anderen kennenzulernen, sich auszutauschen und zu einem guten Miteinander zu kommen“, sagt Heike Moerland. Auch wenn es vorkommt, dass die Ehrenamtlichen sich von Bediensteten der JVA, etwa an der Pforte, nicht wertgeschätzt fühlen gilt doch: Sie sind ein absoluter Gewinn für die Arbeit.
Vor allem von den Inhaftierten komme viel Wertschätzung an, sagt Bianca Hültz, die als Ehrenamtliche in der JVA Siegburg tätig ist. „Zuletzt hat mir einer gesagt, ich würde mich mehr kümmern als seine eigene Familie“, sagt sie. Diese Dankbarkeit zu spüren, sei ein tolles Gefühl. Zur Straffälligenhilfe kam Bianca Hültz, als sie nach einer schweren Erkrankung auf der Suche nach einem Ehrenamt war. „Ich hatte mich gefragt, was ich eigentlich hinterlassen möchte, woran sich Menschen erinnern sollen.“ Über eine Bekannte ist sie auf das Angebot in der JVA aufmerksam geworden und hat es einfach ausprobiert. Was ihr Gegenüber getan hat, um im Gefängnis zu landen, ist für sie nicht von großer Bedeutung. „Es ist nicht meine Aufgabe zu urteilen“, sagt sie.
Wie dankbar die Inhaftierten über solche Kontakte von draußen sind, das merkt Nadine Trepmann auch immer wieder. „Sie schätzen sehr, dass jemand seine Freizeit mit ihnen verbringen will. Sie erleben das als wertschätzend, auch vor dem Hintergrund, dass vielen bewusst ist, in der Gesellschaft eher als störend empfunden zu werden“, sagt sie. Als angenehmer Gesprächspartner gesehen – ernstgenommen zu werden, sei für sie ein wichtiges Gefühl.